Anton Schwob zum Gedenken: Ehemaliges Vorstandsmitglied des Südostdeutschen Kulturwerks verstorben
Von Sigurd Paul Scheichl
2. Juli 2024Der im Herbst 2023 verstorbene Anton Schwob, an den hier sein Weggefährte und Kollege Sigurd Paul Scheichl erinnert, war nicht nur ein renommierter Germanist, sondern bekleidete auch wichtige Funktionen im Südostdeutschen Kulturwerk (SOKW), der Vorgängerinstitution des Instituts für deutsche Kultur und Geschichte Südosteuropas an der LMU München (IKGS). Auf Vorschlag von Karl Kurt Klein wurde Schwob, damals noch sein Student in Innsbruck, im Jahr 1960 zum Geschäftsführer des SOKW gewählt. Er gehörte bis 2013 in mehreren Funktionen dem Vorstand des SOKW e. V. an, davon in den Jahren 2002–2013 als Vorsitzender. In dieser Eigenschaft gehörte er bis 2013 auch dem Vorstand des IKGS an. Außerdem war er bis 2013 Mitherausgeber der Südostdeutschen Vierteljahresblätter beziehungsweise der Spiegelungen (ab 2006).
Diese Worte des Gedenkens für den bedeutenden Germanisten Anton Schwob sind Worte eines Freunds, der sich im Folgenden auch herausnimmt, von „Toni“ Schwob zu sprechen.
Wir haben einander vor über 60 Jahren im einstigen Hörsaal 123 der Universität Innsbruck in den Vorlesungen von Karl Kurt Klein, zunächst flüchtig, kennen gelernt, wir waren dann über zehn Jahre lang zugleich Assistenten am Institut für Germanistik in Innsbruck und sind stets miteinander in Verbindung geblieben, auch nachdem er Innsbruck verlassen hat.
Anton Schwob wurde am 29. August 1937 in Apatin in der Wojwodina geboren und kam nach schlimmen Jahren im Lager in Jugoslawien mit seiner Mutter nach Österreich, schließlich nach Salzburg, wo er seinen Vater wiederfand. Nach der Matura an der Salzburger Lehrerbildungsanstalt (1957) studierte er zunächst in Marburg, dann in Innsbruck, wo ihn Karl Kurt Klein förderte – und forderte. Durch Klein kam er mit dem Südostdeutschen Kulturwerk (SOKW), der Vorgängereinrichtung des IKGS, in Kontakt. Mit den kulturellen Organisationen der Südostdeutschen blieb er zeitlebens in vielerlei Funktionen und mit großem Engagement verbunden. Einige Jahre redigierte er die (1970 eingestellten) Südostdeutschen Semesterblätter; für ihn typisch war das zähe Nachfragen, mit dem er seine Innsbrucker Kollegen dazu brachte, Beiträge über ‚südostdeutsche‘ Themen, sei es über den mittelalterlichen Klingsor, über die Zeitschrift dieses Namens oder über Adam Müller-Guttenbrunn zu schreiben. Mir blieb das erspart, weil ich damals nicht in Innsbruck war, viel später allerdings hat er auch mich auf diese Art ‚verpflichtet‘, zu einem einschlägigen Vortrag bei einer Tagung des Arbeitskreises für Siebenbürgische Landeskunde in Hamburg (1989); auf dieser Tagung lernte ich Stefan Sienerth und Oskar Pastior kennen und hörte zum ersten Mal von Franz Hodjak – schon dafür muss ich Toni Schwob immer dankbar sein.
Klein regte Schwobs Dissertation an, Siedlermischung und Sprachausgleich in jungen südostdeutschen Sprachinseln am Beispiel der Mundart von Neubeschenowa im Banat, die er nach Kleins frühzeitiger Emeritierung bei Johannes Erben 1967 abschloss. An die Promotion schloss sich seine Tätigkeit als Assistent und Lehrbeauftragter am Institut für Germanistik der Universität Innsbruck an; er war ein guter und sehr menschlicher Lehrer, der die Studierenden erfolgreich ans Alt- und Mittelhochdeutsche heranführte. 1979 habilitierte er sich in Innsbruck für „Deutsche Sprache und Ältere deutsche Literatur“. 1981 war er Gastdozent an der Universität Wien, seit 1982 ordentlicher Professor für Ältere deutsche Sprache und Literatur in Graz, wo er diesen Bereich völlig erneuerte. In Graz hatte er auch verschiedene akademische Würden inne, insbesondere war er von 1996 bis 2000 ein sehr engagierter Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Germanistik. Nach seiner Emeritierung (2005) übersiedelte er nach Salzburg, wo er nach längerer Krankheit am 30. Oktober dieses Jahres verstorben ist.
Wissenschaftlich beschäftigte Toni Schwob sich nach seiner Promotion kaum noch mit Mundartforschung, sondern mit mittelalterlicher, vor allem spätmittelalterlicher Literatur, zumal dem Tiroler Lyriker Oswald von Wolkenstein. Über ihn hat er zunächst eine Biografie geschrieben (1977, 3. Aufl. 1979, letzter Nachdruck 1989), ein Buch, das hohen wissenschaftlichen Ansprüchen genügt und zugleich für ein breites Publikum gut lesbar ist. Der neue Ansatz dieser Biografie liegt darin, dass sie nicht wie bisherige Biografen Oswalds mehr oder minder autobiografische, mehr oder minder glaubwürdige Gedichte nacherzählt, sondern dass sie auf den zahlreichen erhaltenen Urkunden beruht, in denen Oswald vorkommt. Ungefähr gleichzeitig erschien Dieter Kühns romanhafte Biografie Ich Wolkenstein; eine avantgardistische Wiener Schriftstellerin fand Schwobs sachliches Buch unvergleichlich besser als das Werk Kühns.
In seiner Habilitationsschrift verglich Toni Schwob Lieder Oswalds, die Ereignisse aus seinem Leben gestalten, mit den Urkunden über eben diese Ereignisse. Dem Thema blieb er dann über Jahrzehnte treu, seine Forschungen gipfelten in einer fünfbändigen kommentierten Ausgabe der zahlreichen (über 500) Oswald betreffenden Urkunden aus verschiedenen Archiven. 2014 erschien die Aufsatzsammlung Ausgewählte Studien zu Oswald von Wolkenstein.
Die methodische Ausrichtung seiner Oswald-Forschung ist geprägt durch seine akademischen Lehrer Klein und Eugen Thurnher, bei denen man lernte, Literatur als Teil der Geschichte zu verstehen. Der Ansatz ist traditionell, Schwobs vorbildliche Oswald-Forschungen zeigen, welche Fülle von Erkenntnissen dieser Ansatz bringen kann.
Zur Urkundenedition hat Toni Schwobs Gattin Ute Monika, geborene Schuller, sehr viel beigetragen, sie wird auch als Mitherausgeberin genannt; in der erwähnten letzten Aufsatzsammlung stehen viele Aufsätze von ihr, die als promovierte Historikerin sicher die Orientierung seiner Forschung positiv beeinflusst hat. Die fast 60 Jahre ihrer Ehe waren auch 60 Jahre einer geistigen Partnerschaft, anregender Zusammenarbeit.
Die schönsten Erinnerungen an die Zusammenarbeit mit Toni Schwob verbinden sich mit der Gründung der Germanistischen Reihe der Innsbrucker Beiträge zur Kulturwissenschaft vor ziemlich genau 50 Jahren. Er, seine Kollegen Erwin Koller, Hans Moser, Norbert Richard Wolf und ich wollten eine Publikationsmöglichkeit für die vor der Vollendung stehenden Habilitationsschriften einiger der Herausgeber schaffen; als erstes Buch erschien ein Tagungsband über – Oswald von Wolkenstein. Die an die 100 Bände dieser Reihe bieten heute ein Spektrum der Breite der germanistischen Forschungen am Innsbrucker Institut.
1973 war es noch nicht selbstverständlich, dass Assistenten eine universitäre Publikationsreihe ins Leben riefen und leiteten; der Usus war eher, dass Professoren als Herausgeber fungierten und ihre Assistenten die Arbeit erledigten. Wir arbeiteten alle an jedem Buch mit und freuten uns gemeinsam über jede eingehende Bestellung. Toni Schwobs Erfahrungen mit den Veröffentlichungen des SOKW und mit dem Verlagswesen waren eine große Hilfe in den ersten Jahren; obendrein war er ein Meister des Verpackens. Die freundschaftliche Verbundenheit hat die gar nicht so geringe Arbeit sehr erleichtert, es war eine fröhliche Herausgeberschaft. Uns verband nicht nur die gemeinsame Arbeit, sondern auch enge Freundschaft, wir redeten nicht nur über Germanistik und über die Berechnung von Buchpreisen, sondern wir blödelten auch gerne und lang. Toni Schwob ist ein guter Freund gewesen.
So sehr wir uns mit ihm über seine Berufung nach Graz gefreut haben, so sehr haben wir sein Ausscheiden aus dem Herausgeberkollegium bedauert. Gerne haben wir dann einige Arbeiten seiner Grazer Schüler*innen und die Festschrift für ihn in das Programm der Reihe aufgenommen.
Von den zahlreichen Ehrungen, die Schwob zuteil geworden sind, erwähne ich nur die Ehrendoktorate der Universitäten Hermannstadt/Sibiu 2001 und Fünfkirchen/Pécs 2003, denn sie stehen für seine bleibende Verbundenheit mit dem Raum, aus dem er stammte. Aber auch mit Tirol blieb er verbunden, durch Ehrungen, aber vor allem durch die freundschaftliche Verbundenheit mit den Kollegen an dem Institut, an dem er studiert und so lange erfolgreich gewirkt hat.
Der Abschied von dem Kollegen fällt schwer, der Abschied vom Menschen Toni Schwob noch schwerer.
SIGURD PAUL SCHEICHL ist Literaturwissenschaftler und ehemaliger Vorstand des Instituts für Germanistik an der Universität Innsbruck.
© Foto: SOKW, Erstveröffentlichung: Südostdeutsche Vierteljahresblätter 46 (1997), S. 311.