Wohltemperierte Unwägbarkeiten | Nichita Danilov: Die blinden Adler. Gedichte | Besprechung
von IKGS München
Nichita Danilov ist einer der bedeutenden Lyriker der sogenannten 80er-Generation in Rumänien, einer Literatengruppe, zu der unter anderen auch Mircea Cărtărescu zählt. Doch ist Danilov nicht wie sein international gefeierter Kollege ein Hauptstädter, sondern stammt aus der Grenzregion Nordrumäniens und der heutigen Republik Moldau. Laut Nachwort seines Übersetzers und Kollegen Jan Koneffke zeigt sich diese Herkunft im Wesen des danilovschen Schreibens; er ist „Lipowaner“ und ein Mann des Dazwischen: zwischen Russland und Rumänien, Ruralität und Akademie, Glaube und Skepsis…
2. Juli 2024Nichita Danilov: Vulturii orbi/Die blinden Adler. Poezii/Gedichte. Aus dem Rumänischen von Jan Koneffke. Linescio: edition pudelundpinscher 2023. 232 S.
Wer beherzt die Lektüre des kleinen zweisprachigen Gedichtbandes angeht, stößt auf anregende Unwägbarkeit. Der Versuch, beim Lesen Texte und Worte einzuordnen, leitet sogleich dessen Scheitern ein, denn die Gedichte sind rhythmisch, aber nicht kohärent, stattdessen oft pathetisch; sie funkeln zugleich düster und ironisch mit Bildern, die sich augenblicklich wieder auflösen und verformen; historische Anspielungen und archaische Szenen scheinen vertraut und entziehen sich dann spukhaft. Jan Koneffke, Schriftsteller, Dichter und Literaturdiplomat zwischen rumänischer und deutscher Kultur, kommt als trittsicherer Übersetzer und Lese-Begleiter durch die sowohl verwirrende als auch berückende Lektüre wie gerufen.
Lyrische Diplomatie ist es, wenn er für die wuchtigen Texte Danilovs kunstfertig wohltemperierte Entsprechungen findet. Indem er das exotische Forte der Originaltexte zurücknimmt, arbeitet er deren Melancholie deutlicher heraus. Was im Original stellenweise grotesk daherkommt, im Duktus des 19. Jahrhunderts zuweilen, erlangt in der ernsten, feinen und auf Korrektheit bedachten Übersetzung quasi einen Berechtigungsschein für die deutschsprachige Existenz: So kann man sich auf das Tosen und den existenziellen Tonfall einlassen und auch Danilovs Humor entdecken. Koneffkes Nachdichtungen sind distanzierter, aber immer voller Empathie für das, was Danilov mit seiner Stimme vorzutragen hat: Angesichts der furchterregenden Fragwürdigkeit von Existenz und Nichtigkeit lässt er beunruhigende Gedankengebilde entstehen, Wörter wie „Weltenbrand“ erscheinen mit unscharfer Gestik – zwischen Drohgebärde und Zaubertrick, und Koneffke legt Zeile für Zeile die übersetzende Hand für Danilov ins Feuer.
Als Dichter der rumänischen 80er-Generation, die sich in der Postmoderne beheimatet sah, versucht Danilov den Konstrukten und Traumata seines historischen Lebensumfeldes mit lyrischer Fassungslosigkeit und Ironie entgegenzutreten. „So wurden Reiche errichtet / mit Gewalt, Blutvergießen und Opfern / und wir, wir erobern das Nichts.“ (S. 23) Gleichzeitig mündet Danilovs Ironie in Fragen wie die, ob ein Schreibender Teil der Gewalt werde, die er beschreibt, und ob das aus Todesangst geschehe, unter dem Druck einer ominösen Drohung.
Bei der rhythmischen Wucht des mit Schweigen (S. 31) betitelten Langgedichts fragt man sich, zu welchem Terror man hier einen Kommentar liest, der die persönliche wie künstlerische Existenz mit Grauen durchzieht, um im apokalyptischen Chaos dieses Textes zu münden. Die Übersetzung folgt zunächst zögerlich mit rein lexikalischen Pathos-Markern, entwickelt dann aber selbst eine spektakuläre Inbrunst. Oder Requiem für ein verlorenes Land (S. 41): Dieser Text kann im Rumänischen als Ausdruck eines verzweifelten Patriotismus gelesen werden, Koneffke spricht die Verse im Deutschen so, dass sie eine Einladung sind, sich in das Fremde zu wagen und jenseits der eigenen Grenzen das Eigene zu erkennen: den Gedanken, wie vergeblich es ist, endgültige und unteilbare Identitäten zu errichten.
Mit fortschreitender Lektüre wird deutlich, dass sich Danilov an der Illusion von randscharfer Zuschreibung abarbeitet; Täter und Opfer, Gut und Böse, Krähen und Adler verschmelzen, bis es heißt: „Finita la Commedia!“. (S. 57)
Im zweiten Teil des Bandes finden sich kurze nostalgische Gedichte, Kindheitserinnerungen, Porträts. Es tauchen Tote und Gekreuzigte auf, Mond- und Wassermetaphern und immer wieder die Frage „Wer bin ich“ ‒ und die Antwort „der bin nicht ich“. Koneffkes Übertragungen gelingen abseits von Übersetzerroutine, mit der üblicherweise unspezifische Satzstellungen, Einschübe, Eindeutschung von Idiomen und Wortwörtlichkeit vermieden werden sollen, sie weicht hier einer künstlerischen, eigensinnigen Sprachhandhabe, in der das nicht zu stillende Verlangen nach dem, was „eigentlich“ gesagt werden will, noch Platz hat. Das Numinose kann darum auch in den deutschen Texten ernstlich zum Thema werden. „Warum verwöhnst du mich mit deinem Licht, oh Herr?“ (S. 131) und: „Der auf mich / achtgibt, ist ein gefallener Engel / und doch wem gehören diese Hände / […] wie sie mir so voller Sehnsucht, ach so voller Sehnsucht / die Augen bedecken“. (S. 119) Man vermag zu begreifen, dass sich für Danilov das Konzept des „Ich“ in seiner Selbstreferenzialität und -zersetzung als untauglich erweist und er dennoch den Ausruf wagt: „Ich bin, der ich bin!“ (S. 145) ‒ eingespannt zwischen den zwei Fixpunkten der eigenen Hellsichtigkeit und der Melancholie; „ihr werdet eure Herzen öffnen / und mich in ihrem Innern empfangen, / damit sich die Leere füllt. Doch existiere ich nicht, / existiere nicht, außer in meiner Vorstellung“. (S. 155)
Zuletzt steht ein längeres Gedicht mit dem Titel In der Dichterklause, in dem Danilov sein poetisches Credo spricht ‒ an etwas quasi-Heiliges, jedenfalls Metaphysisches, der „Seele“ Anverwandtes, ein Schluss-Statement, wenn auch fluide.
„Zwischen dem, was existiert, und dem, was niemals existieren wird, ist die Seele am Scheideweg anzutreffen. Alle Himmel sind verschlossen und das Nichts weist sie zurück“ (S. 193) und „Die Poesie rettet uns nicht vor den Versuchungen des Nichts, sie ist aber die einzige von der Seele gesprochene Sprache“ (S. 195) ‒ diese Schlussfolgerung ist keinesfalls hieb- und stichfeste Theorie, auch kein naives Romantisieren. Eher lautes Singen in der Dunkelheit. Man mag nicht darüber lächeln.
Schließlich Koneffkes Nachwort: Der taumelnde Blindflug der Adler, Krähen, Tauben und stürzenden Erzengel gewinnt Grund unter den Füßen ‒ umfangreich wird von den historischen und geografischen Zusammenhängen erzählt, in denen Danilovs Texte entstanden sind. Man beginnt zu begreifen. Danilovs unbeheimatete Verse finden in der aufschlussreichen Einordnung seines Kollegen und nachfolgend auch im sich klärenden Blick des nun gut unterrichteten Lesers Unterschlupf. Ein Stück kluger Kunstdiplomatie!
Von Eva Ruth Wemme
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