Spiegelungen
Literarische Abwege. Wilhelm Droste über literarische Cafés und politische Illusionen in Ungarn
Den Übersetzer, Herausgeber, Publizisten, Caféhausbetreiber, Kulturveranstalter und ehemaligen Dozenten des Lehrstuhls für Germanistik der Eötvös-Loránd-Universität Dr. Wilhelm Droste besuchte Enikő Dácz im März 2025 in seinem zentral gelegenen Budapester Café. Das nach dem Lieblingskaffeehaus von Endre Ady benannte Három Holló/Drei Raben ist in den Räumlichkeiten des Piaristenordens untergebracht und ein der Literatur und Kunst gewidmeter Ort. Das Kulturprogramm, das ein junges Team gestaltet, zu dem mehrere Lyriker:innen gehören, spiegelt die Vielfalt der Budapester Kulturszene von Literatur über Theater, Ballett bis hin zum Film wider.
,,Sächsische Mädchen im Fortschritt“ und auch sonst manch Lesenswertes | Stefan Sienerth (Hg.): ,,Es ist fast keiner mehr“ | Besprechung
In den Häusern siebenbürgisch-sächsischer Lehrer und Pfarrer (oftmals, zeitversetzt, in Personalunion) in Städtchen und Ländchen hieß es weiland: „Seid still, Kinder, der Vater schreibt Gedichte. – Segt reahich, ir Kengd, der Vuoter schreiwt Gedichter“. Aus noch heute nachwirkender Wirklichkeit gegriffen und erzählt hat das Stefan Sienerth, ein treuer Sohn all dieser Väter. (Dabei mag ihn wie uns anheimeln, dass in der Mundart die „Gedichte“ in einem bedeutungsschweren „r“ enden.)
Eine Art Entwicklungsroman | Terézia Mora: Muna oder Die Hälfte des Lebens | Besprechung
Der neue Roman Terézia Moras führt uns in die Höllentiefen einer destruktiv abhängigen Liebe zwischen Muna Appelius, einer Schülerin vor dem Abitur, und einem Fotografen und Französischlehrer namens Magnus Otto. Die Geschichte könnte auch als Entwicklungsroman gelten, obwohl es hier nicht um eine geradlinige Entwicklung geht, sondern um durch zahlreiche Höhen und Tiefen gezeichnete, erlittene Lebenserfahrungen, die Muna zwischen ihrem 18. und 40. Geburtstag sammelt.
Wo gehobelt wird, blühen Späne | Franz Hodjak: Das Glas gibt dem Wein die gewünschte Form | Besprechung
Immer schon ist der Dichter und Verlagslektor Franz Hodjak sein bester Leser gewesen. Dass er dabei stets auch ein strenger Lektor ist, diesmal zu eigenem Nutz und Frommen, versteht sich. „Aphorismen sind Späne, die beim Hobeln der Sätze von der Sprache fallen.“ (S. 9) So elegant geschwungene, scharfwürzig blühende Späne bringt nur einer zustande, der den Hobel sowohl in scharfem Winkel anzusetzen als auch meisterlich zu führen weiß. So häuft sich neben Gedicht- und Prosabänden Buch um Buch. Dieses nun ist laut Nachwort von Alexander Eilers Hodjaks viertes mit diesmal 850 vermeintlichen „Nebenprodukten“, die er unbeirrt zur Hauptsache macht. Für die Hauptsache aber ist ihm kein Büchlein zu schmal.
Kleines Land, große Poesie | Mein Nachbar auf der Wolke | Besprechung
2023 wurde im Münchner Hanser Verlag im Auftrag der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung der Band "Mein Nachbar auf der Wolke. Slowenische Lyrik des 20. und 21. Jahrhunderts" publiziert und anschließend auf der Frankfurter Buchmesse präsentiert, auf der sich Slowenien als Ehrengast vorstellte.
Endstation Gardasee | Akos Doma: Das Haus in Limone | Besprechung
Der lang erwartete vierte Roman des in Budapest geborenen, seit vielen Jahren in Eichstätt lebenden Akos Doma beginnt mit einem Prolog: „Am Morgen des 1. April 2018 fuhr Sebastian F., wie er später in den Zeitungen genannt wurde, mit der Seilbahn von Malcesine auf den Gipfel des Monte Baldo“. (S. 7) Von dort aus startet er seinen Gleitschirmflug, stürzt in den See und kann nur noch tot geborgen werden. „Als Unfallursache wurde menschliches Versagen angenommen, irgendein schwerwiegender Flugfehler […].“ (S. 8)
Die innere Au | Alexandru Bulucz: Stundenholz | Besprechung
Im Schöffling Verlag erschien in diesem Jahr der neue, dritte Gedichtband des Berliner Lyrikers, Essayisten und Herausgebers Alexandru Bulucz Stundenholz. Der Autor wurde 1987 im rumänischen Alba Iulia (dt. Weißenburg) geboren, er zog im Alter von dreizehn Jahren nach Deutschland.
Tragische Liebe | Klara Blum: Der Hirte und die Weberin | Besprechung
Die Geschichte der deutschen Exilliteratur ist in den letzten Dezennien recht gründlich und allseitig erforscht worden, und doch bleiben in diesem Bereich noch weiße Flecken. Zu den im Schatten gebliebenen Exilautoren gehört auch die deutsch-jüdische Schriftstellerin Klara Blum.
Die Frage nach dem Erzähler | Drago Jančar: Als die Welt entstand | Besprechung
Der vorliegende Roman, im Original "Ob nastanku sveta", stammt aus der Feder des meist übersetzten zeitgenössischen slowenischen Schriftstellers Drago Jančar (* 1948) und ist 2023 in der Übertragung von Erwin Köstler im Paul Zsolnay Verlag in Wien erschienen. Die Handlung spielt in Maribor (dt. Marburg an der Drau), der Geburtsstadt des Autors, und thematisiert die Liebe, wie bereits die Romane "Wenn die Liebe ruht" (2019) und "Nordlicht" (1990).
Die Poesie trotzt der Schwerkraft | Hellmut Seiler: Aufhebung der Schwerkraft | Besprechung
Der Lyriker Hellmut Seiler erfreut uns mit seinem neuesten Gedichtband "Aufhebung der Schwerkraft". Auf 141 Seiten und in 102 Gedichten werden die Leser eingeladen, sich durch die Erfahrungen, Erinnerungen, Reisen, Impressionen, Weltansicht des lyrischen Ichs auf eine sprach- und bildgewaltige Poesie einzulassen. In seinem Vorwort bereitet Anton Sterbling den Leser auf eine neue Art von Poesie vor, indem er historisch einordnet und die wichtigsten Aspekte aus Seilers Prosawerk vorstellt, die die „neuen Wendungen, Überraschungen“ (S. 5) in seiner Lyrik vervollständigen.
Neuauflage des Erstlingswerks | Hans Bergel: Fürst und Lautenschläger | Besprechung
Zwei Jahre nach dem Tod des 1925 in Siebenbürgen geborenen Schriftstellers und Publizisten Hans Bergel, der mehr als 50 Jahre in Deutschland lebte und mehr als 50 Bücher schrieb, liegt nun seine – viel zitierte und wenig gelesene – Jugenderzählung "Fürst und Lautenschläger" mit einem ausführlich kommentierenden Vorwort von Stefan Sienerth, dem langjährigen Leiter des IKGS in München, vor.
Viel Lärm um … semmi? | Johanna Sebauer: Nincshof | Besprechung
Johanna Sebauers "Nincshof" hat seit seinem Erscheinen in Österreich sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Dieser mediale Erfolg von Sebauers Debütroman ist beeindruckend und macht natürlich neugierig, zumal schon der Titel, ein wunderschönes Beispiel von humorvoller Spielerei mit Mehrsprachigkeit, Lust darauf macht, in die einerseits eindeutig verortbare, reale, andererseits aber mit fantastischen Elementen durchsetzte Welt von Johanna Sebauers Figuren, die in dem fiktiven Dorf Nincshof im Burgenland leben, einzutauchen.