Alida Bremer: Tesla oder die Vollendung der Kreise. Roman. Salzburg: Jung & Jung 2023. 400 S.

Bereits auf der Überfahrt trifft er Ernesto Chiaro, einen jungen Triestiner, dem er sich aufgrund ihrer sprachlichen Gemeinsamkeiten direkt verbunden fühlt. Den gebildeten und dramatisch veranlagten Ernesto und den pragmatischen sowie wissbegierigen Anton verbindet bald eine tiefe Freundschaft. Gemeinsam in New York angekommen, versuchen sie, in der fremden Stadt Fuß zu fassen. Während Ernesto von einer Karriere als Schriftsteller träumt, findet Anton nach einigen Hilfsarbeiten Anstellung als Dolmetscher im Anatomischen Museum des deutschen Arztes Doktor Winter. Die von den dortigen Ärzten erlernten Theorien bewegen ihn dazu, ein Medizinstudium anzustreben. Um sich Rat zu suchen, erbitten die beiden ein Gespräch mit Nikola Tesla. Auf den bekannten Erfinder sind Anton und seine Landsmänner in Amerika besonders stolz, da sonst „Italiener und Osteuropäer in New York kein hohes Ansehen genießen“. (S. 127) Bei ihrem ersten Treffen im Waldorf-Astoria-Hotel zeigt der exzentrische Tesla auch Interesse an Literatur und Mystik, das er mit Ernesto teilt.

Anton beginnt 1911 sein Medizinstudium am Old Medical College in Charleston, denkt allerdings auch über eine Rückkehr nach Europa nach. Noch während er eine Übersiedlung nach England organisiert, bricht der erste Balkankrieg aus. Er entscheidet sich, als Sanitäter im Kriegsgebiet zu dienen.

Im zweiten Teil des Buches begibt sich Anton nach Ende des Krieges und Wiedersehen mit seiner Familie nach London, um seine Studien fortzusetzen. Dort arbeitet er zunächst in einem Sanatorium und besucht nebenbei Vorlesungen und praktische Übungen. 1914 steht er kurz vor dem Abschluss, als er von der britischen Polizei aufgrund seiner österreich-ungarischen Staatsbürgerschaft als mutmaßlicher Spion verhaftet wird. Er verbringt die nächsten Monate in englischen Kriegsgefangenenlagern, bevor er schließlich nach Amerika ausreisen darf.

Aus dem Gefängnis entlassen, heiratet Anton direkt vor seiner überstürzten Abreise Eleonora, in die er sich schon vor seiner Gefangenschaft verliebt hat. Wieder in New York, treffen die beiden Ernesto und seine Freundin Stella, eine Schauspielerin. Während Ernesto über sein neustes Werk Tesla oder die Vollendung der Kreise berichtet, sorgt sich Anton um Stellas Gesundheitszustand und die ärmliche Wohnung seines Freunds. Nach seiner ärztlichen Zulassung im Staat Michigan ziehen Anton und Eleonora in die Stadt Joliet, wo er eine Arztpraxis eröffnet. Dort erlebt er den Ausbruch der Spanischen Grippe, an der auch Eleonora und Ernesto erkranken.

Nach Ernestos Tod trifft sich Anton wieder mit Nikola Tesla, dem inzwischen die Finanziers für seine Forschung fehlen. In seinen regelmäßig wechselnden Hotelzimmern pflegt der vereinsamte Erfinder kranke Tauben und weigert sich, trotz gesundheitlicher Probleme Antons ärztliche Hilfe anzunehmen. Bei ihrem letzten Treffen vor der Rückkehr nach Dalmatien überreicht Tesla seine Pläne für eine Waffe, die Anton der Regierung Jugoslawiens übergeben soll, „denn, wenn jeder sie besitzt, kann es keinen Krieg mehr geben“. (S. 250)

Zu seiner Familie zurückgekehrt, wird Anton Dorfarzt. Dort ist er mit der unzureichenden medizinischen Versorgung unzufrieden und von der Radikalisierung der politischen Lager Jugoslawiens zunehmend frustriert. Nach der Freilassung aus dem Gefängnis, wo er wegen seiner Unterstützung der Partisanen einsaß, erfährt Anton vom Tod Teslas und seiner Beerdigung, einer „Demonstration der jugoslawischen Eintracht, wie sie im Land selbst nie wirklich existiert hatte und jetzt endgültig in der entfesselten Gewalt untergegangen war“. (S. 282) Während der nationalsozialistischen Besatzung wird Anton wiederum verhaftet und entkommt der Todesstrafe für die Behandlung eines Partisanenkämpfers durch Appell an einen bei ihm einquartierten deutschen Feldkommandanten.

Der dritte Teil des Buchs folgt Anton in seine Rentenzeit. Nach einer Begegnung mit einem Geheimdienstagenten begibt er sich auf die Suche nach dem verschollenen „Blauen Porträt“, das Vilma Lwoff-Parlaghy von Nikola Tesla gemalt hat und in dem sich die Originale der Waffenpläne befinden sollen. Er schreibt seine Erinnerungen für seine Enkelin Lisa auf, die er ihr mitsamt seinen Recherchen vermacht.

Der vierte Teil des Buches spielt in der Gegenwart, in der Antons Enkelin Lisa und ihre Tochter Antonia nach Husum reisen. Lisa reflektiert ihre Kindheit und den letzten Ausflug mit ihrem Großvater, bei dem sie das von Nikola Tesla konstruierte Wasserkraftwerk am Fluss Krka besichtigten. Den Ausflug nach Husum schlug Antonia vor, die nach der Lektüre von Antons Memoiren das „Blaue Porträt“ in Husum ausfindig gemacht hatte. Das Buch endet mit ihrem Besuch im dortigen „Nissenhaus“, gestiftet von Ludwig Nissen, einem Emigranten aus Husum in New York.

Antons Geschichte basiert auf den Aufzeichnungen des historischen Arztes Ante Matijaca, der Nikola Tesla 1917 eine Studie widmete. Historisch belegt sind zwei Begegnungen der beiden Männer, in Bremers Roman sind es kaum mehr Auftritte. Trotzdem prägen Teslas Biografie und seine Hinterlassenschaft den Roman. Dieser folgt Antons Lebensweg über große Teile des 20. Jahrhunderts, vom jungen südslawischen Einwanderer in New York zu einem respektierten amerikanischen Arzt in Jugoslawien.

Da sich die Handlung über mehrere Jahrzehnte erstreckt, ist der Roman in vier Teile gegliedert, die unterschiedlich lange Zeitspannen abdecken. Während Antons junge Jahre recht zeitdeckend erzählt werden, wird die Gestaltung gegen Ende des Buches sprunghafter. Das Verhältnis zwischen Erzählzeit und erzählter Zeit wechselt häufig und auch das Tempo der Geschichte variiert. Die Zeitsprünge tragen dazu bei, dass der Roman trotz der behandelten langen Zeitspanne nicht zu langatmig wirkt. Viele Ereignisse werden daher mit Voranschreiten der Handlung lediglich erwähnt oder in kurzen Rückblenden gezeigt. Auch die Figurenkonstellation ist mitunter sehr komplex: Es gibt einige Nebendarsteller, die zur eigentlichen Geschichte und ihrem Fortgang wenig beitragen. Manche Aspekte der Geschichte, wie die Beziehung Antons zu seinen Söhnen, werden zudem wenig ausgeführt. Die Figurendichte ist zwar für eine Lebensgeschichte nachvollziehbar, dennoch wäre weniger unter Umständen mehr und so dem roten Faden leichter zu folgen gewesen.

Die geschichtlichen Entwicklungen werden auf Figurenebene projiziert. Das unterschiedliche Aufeinandertreffen von Figuren verschiedenster Hintergründe in New York und in der „Alten Welt“ und die daraus resultierenden Konflikte sowie Verbindungen ändern grundlegend Antons Weltbild. Beginnend mit der Freundschaft zu Ernesto und seinen Begegnungen in New York und England lösen sich Vorbehalte gegen die Bevölkerung der als feindlich betrachteten großen Staaten Europas, „die Türken, die Italiener, die Ungarn, die Österreicher, die Deutschen“. (S. 139)

Ein in diesem Rahmen häufig aufgegriffenes Thema ist die sich wandelnde Sicht auf den Panslawismus: Einen jungen und naiven, aber überzeugten Unterstützer Russlands im Krimkrieg, der nach dem Verbrennen der österreichischen Flagge von der Schule ausgeschlossen wurde, machen Kriege und politische Enttäuschungen zu einem Skeptiker, der gegen Ende seines Lebens bereits den Zerfall des jugoslawischen Staates voraussieht. „Seine panslawischen Ideen waren verflogen.“ (S. 270)

Durch Antons Sicht konstruiert der Roman ein vielseitiges Bild des Menschen Nikola Tesla, gespickt mit Gerüchten und Beobachtungen. Nach seinem Tod wurde der Erfinder zum jugoslawischen Nationalhelden. Im Westen hingegen geriet sein Name in Vergessenheit, zumindest bis 2003, als die ersten Elektro-Fahrzeuge mit ebenjenem Namen vom Band rollten. Dass Ernestos Tesla oder die Vollendung der Kreise nie erschien und sein Manuskript sogar verschwand, scheint da geradezu passend.

Von Juliane Stadtmüller 

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