In Kurt Hielschers Fußstapfen
von Angela Ilić
Casper Molenaar stellt in einem Online-Fotoprojekt historische Bilder nach.
22. Januar 2025Der Fotograf Kurt Hielscher (1881–1948) erlangte europaweite Bekanntheit durch seine Bildbände, die in den 1920er- und 1930er-Jahren veröffentlicht wurden. Sie bildeten Landschaften, Architektur und Menschen aus jeweils einem Land oder einer Region des Kontinentes ab und erreichten in vielen Ländern sehr hohe Auflagen. Hielscher wurde in Niederschlesien geboren und wuchs in einem Waisenhaus in Bunzlau/Bolesławiec auf. Schon als Jugendlicher wanderte er gerne in den schlesischen Bergen. Nach seinem Studienabschluss zum Lehrer erfolgte seine erste große Auslandsreise nach Spanien. In den folgenden Jahren reiste er quer durch Europa und kam im Jahr 1914 erneut in Spanien an. Als der Krieg ausbrach, befand er sich auf einem Dampfschiff auf dem Weg zurück nach Deutschland, das Schiff musste jedoch umkehren, und Hielscher verbrachte auch die nächsten fünf Jahre in Spanien. Während dieser Zeit bereiste er das Land und fing an, seine Eindrücke als Hobbyfotograf festzuhalten. Er verdiente sich seinen Unterhalt durch Vorträge und Foto-Ausstellungen.
Nachdem er Spanien verlassen hatte, lebte er in Deutschland und hielt weiterhin Vorträge über »das unbekannte Spanien« – was auch zum Titel seines ersten, 1922 erschienenen Bildbandes wurde. Dieses Reisefotobuch brachte ihm große Aufmerksamkeit und Anerkennung. Ab diesem Zeitpunkt wandte er sich immer mehr der Fotografie zu und entschied sich, auch andere Länder Europas zu bereisen und zu dokumentieren. Aus diesen Reisen, die zum Teil auf Einladung europäischer Herrscherhäuser beziehungsweise Regierungen stattfanden, entstanden mehr als zehn weitere Bildbände, die in zahlreichen Sprachen herausgegeben wurden.
Die beiden Bände, die in der IKGS-Bibliothek vorhanden sind – Siebenbürgen und Rumänien –,1 zeugen von der meisterhaften Kamerahandhabung eines bereits erfolgreichen Fotografen. Der Band Rumänien enthält ein Vorwort des Dichters und Politikers Octavian Goga (1881–1938) und wurde von Hielscher König Carol II. von Rumänien gewidmet. Hielscher erklärt in seiner kurzen Einführung, dass er bereits 1931 von der rumänischen Regierung eingeladen worden sei, »als ihr Gast Rumänien zu bereisen und ein gleichartiges Buch zu schaffen wie meine bisherigen über Deutschland, Spanien, Italien, [und] die nordischen Länder Europas«.2 Während Hielscher im Rumänien-Band auf insgesamt 304 Bildern Angehörige verschiedener Gruppen und deren Kultur festhielt und diese Vielfalt auch in seinem Bildband zu Siebenbürgen dokumentierte, stand im Letzteren – nach eigenen Angaben – jedoch die deutschsprachige Bevölkerung im Mittelpunkt. Auch seine Einführung trägt den Titel Das Deutschtum in Siebenbürgen; er beschreibt hier den Zusammenhalt und die Tugenden der deutschsprachigen Einwohner Siebenbürgens als Vorbild für andere in der Region und vermittelt dadurch ein idealisiertes Bild.3
Während Hielscher sich ab Mitte der 1920er-Jahre in erster Linie auf Fotografie und Selbstvermarktung konzentrierte, muss seine Rolle als »Influencer«, der in einer analogen Welt über eine ungewöhnlich große Reichweite verfügte, besonders in der nationalsozialistischen Zeit, auch kritisch betrachtet werden. In der Ausgabe seines Buches Italien. Baukunst und Landschaft von 1939 beschreibt er seinen Empfang bei Mussolini im vorausgegangenen Jahr; in der Ausgabe seines Deutschland-Bandes 1941 präsentiert er außerdem Bilder aus ganz »Großdeutschland«, das heißt, einschließlich aller besetzten und an Deutschland angeschlossenen Gebiete. Zudem hat Hielscher mindestens einen Vortrag mit Bildern über Spanien nachweislich im Konzentrationslager Auschwitz im Januar 1944 gehalten und war für Januar 1945 ebenso eingeplant. Da der Forschung diesbezüglich jedoch keine schriftlichen Ego-Dokumente von Hielscher zur Verfügung stehen, ist eine Beurteilung seiner Motivationen und Sympathien in Bezug auf diese Unternehmungen nicht möglich.
Dass Hielschers Fotografien Angehörige verschiedener Generationen über Landesgrenzen hinaus auch heute noch ansprechen, beweist der niederländische Hobbyfotograf Casper Molenaar. Molenaar betreibt zwei Seiten auf Facebook: Eine davon, In the Footsteps of Kurt Hielscher, hat 3.000, die andere, Yugoslavia 1926 – Present – In the footsteps of Kurt Hielscher, etwa 4.000 Follower. Auf beiden Seiten veröffentlicht er regelmäßig Hielschers Bilder und seine eigenen, die Nachstellungen von dessen historischen Fotografien sind. Auf der Facebook-Seite zu Jugoslawien stellt er die Bilder aus Hielschers Buch Jugoslavien: Slovenien, Kroatien, Dalmatien, Montenegro, Herzegowina, Bosnien aus dem Jahr 1926 nach.
Die visuellen Nebeneinanderstellungen haben sich als besonders wirksam erwiesen. Die Schwarz-Weiß-Fotografien Hielschers stehen in starkem Kontrast zu Molenaars Farbbildern, während die fast 100-jährige zeitliche Distanz zwischen den Bildern unterschiedlich wahrnehmbar ist: In einigen Fällen erkennt man kaum Veränderungen in der Landschaft oder in der Umgebung, während bei anderen größere Unterschiede zu bemerken sind, die teils einer rasanten Urbanisierung, Bauprojekten oder kriegsbedingter Zerstörung beziehungsweise Beschädigung geschuldet sind.
Wie ist Molenaar, der hauptamtlich bei UNICEF Niederlande arbeitet und mit seiner Familie in Breda lebt, überhaupt zu diesem Thema gekommen? Im Gespräch mit Angela Ilić erörterte er seine Erfahrungen und wie er auf das Werk von Kurt Hielscher aufmerksam geworden war:
Alles begann damit, dass ich Osteuropastudien an der Universität von Amsterdam (Universiteit van Amsterdam) studierte. Ich interessierte mich besonders für das ehemalige Jugoslawien, und ich liebte auch alte Karten und Fotografien. Das waren die Gründe, warum ich mich eines Tages am Anfang des Jahres 2002 in ein Antiquariat begab. Ich sah mir verschiedene Bücher an und entdeckte ein wirklich altes Buch. Ich schlug es auf und stellte fest, dass es 192 Fotografien enthielt, die wirklich beeindruckend waren, und ich hatte einen Wow-Moment. Einige der Bilder waren mir vertraut: Ich konnte die Orte erkennen, an denen sie aufgenommen wurden, da ich in den ehemaligen jugoslawischen Republiken schon viel herumgereist war. Andere waren mir jedoch unbekannt. Ich dachte: Ich möchte diese Orte besuchen, um herauszufinden, wie sie heute aussehen. Das Buch war auch ganz besonders. Die Fotos wurden in sehr hoher Qualität abgedruckt, und sie glänzten sogar. So ist die Idee für mein Projekt innerhalb der ersten zehn Minuten entstanden, in denen ich das Buch in der Hand hielt.
Das Buch war Hielschers Jugoslawien-Band, der für Molenaars damalige studentische Verhältnisse ein kleines Vermögen – um die 30 Euro – kostete. Er konnte sich von dem Buch jedoch nicht trennen, und so fand er mit seiner damaligen Freundin, seiner späteren Ehefrau, eine Lösung: Sie kauften es für ihn als verfrühtes Geburtstagsgeschenk.
Wir sind dann zwei Monate später nach Kroatien gereist, und ich habe die ersten Fotos in Šibenik und Trogir aufgenommen. Diese waren noch keine digitalen Bilder, ich habe sie erst später digitalisiert. In Trogir steht ein Portal am Eingang in die Altstadt. Auf Hielschers historischem Foto stand noch der venezianische Löwe auf dem Portal; heute ist er nicht mehr da. Es war interessant, darüber nachzudenken, welche Geschichten sich hinter solchen Änderungen wohl verstecken. Es wurde mir schnell klar, dass sich bei der Nebeneinanderstellung mit Hielschers Fotografien ständig faszinierende Fragen und Geschichten ergeben würden.
Es folgten seitdem unzählige Reisen und Urlaube, erst noch zu zweit, dann auch gemeinsam mit den beiden Söhnen. Meistens ist die Reiseroute ganz genau geplant, um das Neufotografieren an möglichst vielen Orten zu ermöglichen.
Molenaar führt eine detaillierte Tabelle mit allen neuen Fotografien von Hielschers Motiven, nicht nur den eigenen. Geschätzt hat er selbst bisher um die 250 Bilder auf Facebook und auf seiner Website veröffentlicht. Die meisten Bilder aus dem Jugoslawien-Band hat er bereits neu fotografiert.
Die Idee, die Bilder auf Social Media zu stellen, kam ihm 2017, als in der Facebook- Gruppe Slavorum ein Beitrag über Hielscher und seine Fotografie veröffentlicht wurde und innerhalb von kurzer Zeit mehr als 10.000 Likes erzielte. Ermutigt durch diese positive Rezeption von Hielschers Werk entschied sich Molenaar, eine eigene Facebook-Seite zu erstellen, da er damals bereits eine Reihe von neuen Fotos parat
hatte.

Im Mittelpunkt des ersten hier abgedruckten Bildes befindet sich das Rathaus (viječnica) in Sarajevo, Bosnien, das zu den bekanntesten Bauwerken der Stadt gehört und gleichzeitig als Symbol der Kriegszerstörung gilt. Das Gebäude wurde 1896 feierlich eröffnet, ab 1951 als Nationalbibliothek genutzt und während der Belagerung Sarajevos im August 1992 durch Granaten stark beschädigt. Der Brand zerstörte 80 Prozent der Bücher. Seit dem Wiederaufbau dient das Gebäude erneut als Rathaus.
Molenaar sagt zu seiner Aufnahme von Sarajevo (siehe Abbildung 1):
2005–2006 reisten wir nach Bosnien, um vor allem Bilder in Mostar und Sarajevo zu machen. Ich stand auf der Žuta Tabija, der Gelben Bastei, und hatte einen großartigen Blick auf die Stadt mit der Lateinerbrücke, an deren Nordende Franz Ferdinand ermordet wurde, und auch auf das bekannte Rathaus, das während des Krieges mit all den Büchern abgebrannt war. Es war zum ersten Mal, dass ich die Kraft eines alten Fotos neben einem neuen gespürt habe.
Bei der Nachstellung von Hielschers Fotografien würde man denken, dass neue Gebäude für den größten Unterschied zwischen den historischen und aktuellen Bildern verantwortlich sind. Dies stimmt nur teilweise, denn wie Molenaar behauptet, sind es eigentlich die Bäume, die für die größten Unterschiede verantwortlich sind, denn sie wachsen – oder verschwinden. Ein gutes Beispiel dafür ist ein Bild aus Neuming/Nomenj in Slowenien (siehe Abbildung 2).
Zuerst hat Molenaar Hielschers Aufnahmeort nach langer Suche 2018 fotografiert. Damals stand jedoch ein großes Fahrzeug im Vordergrund, das die Sicht teilweise blockierte. 2019 kehrte er zurück und entdeckte das Denkmal, das zur Erinnerung an die Gefallenen des Ersten Weltkriegs errichtet worden war.


Abb. 2: Neuming/Nomenj, Slowenien
Fotos: Kurt Hielscher (1926); Casper Molenaar (2019)


Abb. 3: Leitmeritz/Litoměřice, Tschechien
Fotos: Kurt Hielscher (1941); Casper Molenaar (2020)
Der Sitz des Regionalmuseums in Leitmeritz/Litoměřice (auf Abbildung 3) blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. In seiner ursprünglichen Form am Ende des 14. Jahrhunderts erbaut, diente das Gebäude über mehrere Jahrhunderte als Rathaus. Nach zahlreichen Umbauten erhielt es seine heutige Form. Bis 1909 war hier das Landgericht untergebracht, seit 1927 dient es als Museum.
Molenaar schreibt über den Tag seiner Aufnahme: »Es war ein wunderschöner Morgen, denn hier im Norden der Tschechischen Republik war alles weiß wegen des Frosts auf den Bäumen und dem Gras und dem Nebel. Die Sonne versuchte sich durchzukämpfen, konnte sich aber nicht durchsetzen.«
Molenaars Projekt ist allerdings nicht der erste Versuch, Hielschers Werk nachzustellen oder seine Fotografien im Rahmen eines Projektes zu verwenden. Der Bildband Deutschland – ein Jahrhundert erschien 2019, ein gemeinsames Unternehmen der Fotografen Wolfgang Henkel und Peter Schubert, in dem sie Hielschers Fotografien von Deutschland nachgestellt hatten.4
Zum Anlass des 100-jährigen Bestehens des modernen rumänischen Staates hat außerdem ein Team unter der Leitung von Valentin Ionescu und Cristian Gugu Fotografien und Filme aus den vergangenen 100 Jahren, darunter ausgewählte Aufnahmen Hielschers, gesammelt und ins Internet gestellt.5
Zwar hat Molenaar von den 192 Jugoslawienbildern die meisten bereits neu fotografiert, doch nähert sich sein Projekt noch lange keinem Ende. Spanien, Hielschers große Liebe, bietet noch zahlreiche Orte, an denen seine Fotografien nachgestellt werden könnten. Und obwohl Molenaar in Rumänien bereits unterwegs gewesen ist und einige Bilder aufgenommen hat, steht eine systematische Nachstellung von Hielschers Rumänien- und Siebenbürgen-Bänden immer noch aus.
Molenaar hofft, eines Tages eine physische Ausstellung mit einer Auswahl seiner Fotos machen zu können. Einen möglichen Anlass stellt das bevorstehende 100-jährige Erscheinungsjubiläum von Hielschers Jugoslawien-Band dar. Er würde die Ausstellung gerne in den großen Städten aller ehemaligen jugoslawischen Republiken zeigen.
Weitere Informationen zum Projekt finden Sie auf der Projektwebseite.
Angela Ilić
- Kurt Hielscher: Siebenbürgen. Banat–Sathmar–Marmarosch. Landschaft–Bauten–Volksleben. Leipzig 1936; ders.: Rumänien. Landschaft–Bauten–Volksleben. Leipzig 21938. Die erste Ausgabe des Rumänien-Bandes erschien 1933. ↩︎
- Hielscher: Das Deutschtum in Siebenbürgen. In: ders.: Siebenbürgen, S. V–VII. ↩︎
- Hielscher: Zu meinen Bildern. In: ders.: Rumänien, S. XVf. ↩︎
- Kurt Hielscher, Wolfgang Henkel, Peter Schubert: Deutschland ein Jahrhundert / Germany a century. Dresden 2019. ↩︎
- Mehr über dieses Projekt erfahren Sie unter https://100deani.ro/, 26.9.2024. ↩︎