Viel Lärm um … semmi? | Johanna Sebauer: Nincshof | Besprechung
von IKGS München
Johanna Sebauers „Nincshof“ hat seit seinem Erscheinen in Österreich sehr viel Aufmerksamkeit bekommen. Dieser mediale Erfolg von Sebauers Debütroman ist beeindruckend und macht natürlich neugierig, zumal schon der Titel, ein wunderschönes Beispiel von humorvoller Spielerei mit Mehrsprachigkeit, Lust darauf macht, in die einerseits eindeutig verortbare, reale, andererseits aber mit fantastischen Elementen durchsetzte Welt von Johanna Sebauers Figuren, die in dem fiktiven Dorf Nincshof im Burgenland leben, einzutauchen.
27. Februar 2025Johanna Sebauer: Nincshof. Roman. Köln: DuMont Buchverlag 2023. 366 S.
Sebauers Kurzprosa, die unter anderem in Anthologien des burgenländischen edition lex liszt Verlags erschienen ist, kreist thematisch immer wieder ums Burgenland. Wie in diesen früheren Texten hat auch ihr Debütroman durch den Ort der Handlung einen eindeutigen Bezug zum Burgenland und das macht zumindest in Österreich einen nicht unwesentlichen Teil des Reizes ihres Romanes aus und trägt vielleicht auch zu dessen Erfolg bei, da er dadurch zum immer noch ausgesprochen beliebten Genre der Regionalliteratur gezählt werden kann. So spielt die Geschichte an zum Teil realen und sehr charakteristischen Orten, wobei der typische Gegensatz von Stadt (Wien) und Land (Burgenland) hier dem Genre entsprechend teilweise fast schon klischeehaft heraufbeschworen wird. Der neben Nincshof selbst einzige weitere fiktive Ort Zick ist ein direktes Zitat aus einem der wichtigsten zeitgenössischen Romane der burgenländischen Literatur, der im Übrigen sehr ausgiebig mit der für die Region charakteristischen ungarisch-deutschen Mehrsprachigkeit spielt: Klaus Hoffers zweiteiliger Roman Bei den Bieresch – 1979 erschien der erste Teil Halbwegs, 1983 der zweite Teil Der große Potlatsch im Fischer Taschenbuch Verlag – erhielt damals ebenfalls begeisterte Kritiken, wurde aber wohl aufgrund seiner Komplexität in erster Linie von Schriftstellerkolleginnen und -kollegen wertgeschätzt.
Bei Sebauer wird hingegen auf unterhaltsame und leicht verdauliche Weise die Geschichte eines Sommers im burgenländischen Seewinkel erzählt, in dem eine Gruppe durchweg liebenswerter, aber schrulliger Bewohnerinnen und Bewohner von Nincshof sich nach der guten, alten und lang vergangenen Zeit zurücksehnt, in der das Dorf der Legende nach unentdeckt und somit den eigenen Regeln nach in völliger Autonomie vom umgebenden österreichischen Staat beziehungsweise Königreich Ungarn lebte – worauf auch der Name des Ortes verweisen soll: nincs bedeutet im Ungarischen so viel wie ist nicht, existiert nicht. Die Gruppe von drei Männern aus drei Generationen, die sich als Oblivisten bezeichnen und sich um eine der beiden Hauptprotagonistinnen, die Nincshoferin Erna Rohdiebl, zusammenfinden, versucht nun mit verschiedenen Mitteln zu erreichen, dass das kleine Dorf wieder vergessen werde. Der Älteste unter ihnen stellt dabei das lebendige Bindeglied zwischen der Gegenwart der Erzählung und dem legendären Waschweib Martha dar, das sich im Verlauf der Geschichte nicht nur als große Freiheitskämpferin für das autonome Nincshof, sondern auch als Großmutter der nun selbst schon über 70-jährigen Erna Rohdiebl entpuppt. Martha und Erna erwecken außerdem die Neugierde der deutlich jüngeren Isa Bachgasser, der zweiten Hauptprotagonistin des Romans und krassem Gegenteil zu Erna. Isa ist Teil der frisch nach Nincshof zugezogenen Familie aus Wien, die ebenso der typischen Vorstellung der urbanen, sehr wohlhabenden Aussteigerfamilie entspricht: ein vom Umzug völlig überzeugtes Elternteil, das im neuen Landleben aufgeht, ein Elternteil, das die zurückgelassene Stadt vermisst und sich in der neuen, ländlichen Einfachheit und Eigenheit nicht zurechtfindet, und ein pubertierendes Kind. Als solche machen die – wie man im Burgenländischen sagt – Zuagroasten der Nincshofer Oblivistengruppe mit ihren exotischen Hobbys wie etwa der Irrziegenzucht sowie beruflichen Gewohnheiten, nämlich der Recherchelust der ehemaligen Dokumentarfilmerin, immer wieder einen Strich durch die Rechnung, was zum Teil zu durchaus skurril-komischen Situationen führt. In all dem sich stellenweise ein bisschen langsam entwickelnden Chaos rund um eine trächtige Ziege und olfaktorische Anschläge auf Radtouristinnen und -touristen kommen sich die beiden Hauptprotagonistinnen, aus deren Perspektiven die Geschichte zum größten Teil abwechselnd erzählt wird, immer näher, bis schließlich die Neuzugänge Teil der Nincshofer Gemeinde werden.
Mit Nincshof hat Sebauer also einen grundsätzlich leicht lesbaren, unterhaltsamen Roman vorgelegt, der sich als solcher auch gut in die Tradition der humoristischen Regionalromane einreiht, was auch seine Präsenz in der breiten Öffentlichkeit – vom Wiener Werbefernsehen in den öffentlichen Verkehrsmitteln bis hin zum Corporate Publishing Magazin des Landes Burgenland – belegt. Ebenso scheint der große Erfolg auch dem guten Marketing und der vorteilhaften Positionierung der Autorin im deutschsprachigen Literaturbetrieb geschuldet zu sein, denn was die inhaltliche und erzählerische Ausgestaltung angeht, bleibt doch noch deutlich Luft nach oben. Wer nämlich ein vielschichtiges oder tiefergehendes Beispiel für burgenländische Regionalliteratur erwartet, etwa auch durch den Titel verleitet denkt, dass in dem Buch auch auf die burgenländische oder speziell die ungarische Geschichte des Burgenlandes auf kreative Weise Bezug genommen wird, bleibt nach der Lektüre enttäuscht zurück.
Geradezu irritierend ist, wie die Autorin es vermeidet, ihrer Geschichte oder den in ihr vorkommenden Figuren Tiefe zu verleihen, indem sie ihre Aufmerksamkeit jenen Elementen der Erzählung widmet, die im Vergleich zu anderen weit weniger Potential haben, Spannung aufzubauen oder die Charaktere sowie die Geschichte weiterzuentwickeln. So wird der zum Teil zu lang geratenen Ausarbeitung der fantastischen Elemente rund um die Herkunft der Irrziegen sowie der Theorie des Oblivismus weit mehr Raum gegeben als beispielsweise der ebenso fantastischen, aber doch mit der realen Geschichte des Burgenlandes verwobenen und deshalb umso spannenderen Legende rund um die Entstehung von Nincshof, die in Form der Erinnerungen Ernas an die Gute-Nacht-Geschichten ihrer Großmutter, dem Waschweib Martha, erzählt wird. Auch die im Titel heraufbeschworene und für das Burgenland charakteristische Mehrsprachigkeit findet im Text selbst so gut wie keine Erwähnung oder Umsetzung – von einem Nebensatz abgesehen, demnach früher die Menschen in Nincshof Ungarisch gesprochen hätten, wird die bis heute spürbare sprachliche Besonderheit dieser Region nicht weiter aufgegriffen. Eine Tatsache, die insbesondere in Zusammenhang mit einer stilistischen Eigenheit der Autorin umso seltsamer anmutet: So werden in dem Roman sämtliche Figuren konsequent jedes einzelne Mal mit ihrem vollen Namen benannt. Was vermutlich ein Element der Komik sein soll, kann bestenfalls als nervenaufreibende Übung zur Steigerung der persönlichen Frustrationstoleranz der Leserschaft betrachtet werden. Erzählerisch erschließt sich diese Eigenwilligkeit nicht, denn wollte es eine Bezugnahme auf die im Burgenland mitunter verbreitete Angewohnheit sein, Menschen im Gespräch gelegentlich mit vollem Namen zu nennen, so müsste dies der ungarischen Tradition folgend in der aus deutscher Perspektive umgekehrten Reihenfolge von Vor- und Nachnamen passieren.
Vielleicht wollte die Autorin, die zweifellos die Region kennt und einiges an Recherchearbeit in ihr Debüt gesteckt hat, mit ihrer Erzählung bewusst auf einer einfacheren Ebene verbleiben und sich auf die Wirkung der Kombination von zum Teil absurder Komik und dem massentauglichen Reproduzieren der beliebten, regionalen Stereotype verlassen, anstatt zu sehr in die komplexe, aber dafür umso reichhaltigere Geschichte der Region einzutauchen, um ihre Leserschaft nicht zu sehr zu fordern. Und vielleicht ist dies auch der Grund dafür, dass man auch in Bezug auf die leider in den meisten Fällen etwas flach geratene Charakterzeichnung weniger das Gefühl hat, hier einen authentischen burgenländischen Regionalroman vor sich zu haben, als vielmehr einen Roman, der zwar aus einer gut informierten und sympathisierenden Außenperspektive geschrieben worden ist, sich aber doch nur den gängigen Klischees entlang bewegt – wobei jene Passagen der Erzählung, die im urbanen Kontext spielen, deutlich differenzierter wirken. Schade, denn die durchaus originelle Grundidee der Geschichte hätte so viel mehr hergegeben. Wie so etwas gehen kann, beweist etwa Michaela Frühstück mit ihrem 2012 in der edition lex liszt erschienenen, ebenfalls erfolgreichen Buch Teta Jelka überfährt ein Huhn Hendl: Dieser durchweg unterhaltsame Roman ist vollkommen im burgenländischen Kosmos, konkret dem Mittelburgenland mit seinen burgenlandkroatischen Ortschaften, verwurzelt und schöpft mit Humor und Tiefgang aus der burgenländischen Geschichte, um mittels der Lebensgeschichten der Bewohnerinnen und Bewohner eines kleinen, real existierenden Dorfes Themen wie die Nachkriegszeit, die Auswanderungswellen, den Eisernen Vorhang oder das Volksgruppendasein zu behandeln.
Wer also beispielsweise eine Ferienlektüre mit kurios-fantastischer Geschichte, gespickt mit liebenswerten, regionalen Stereotypen, sucht, ist mit Nincshof gut bedient. Wer einen burgenländischen Regionalroman erwartet, der amüsant und authentisch aus dem Vollen der durchaus komplexen Region und deren Geschichte schöpft, ist mit anderen Werken besser beraten.
Erika Erlinghagen
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