Horst Samson ist ein Suchender, ein Rastloser, einer, der die Welt kritisch und schonungslos betrachtet und den Finger auf die Wunden legt, das Schreckliche und das Schöne aufnimmt in seine Gedichte, die laut schreien, anklagen und fordern, doch manchmal auch mit zarter Poesie verzaubern. 

14 Bücher hat er bisher publiziert, in vielen Anthologien und Literaturzeitschriften wurden seine Werke veröffentlicht, auch als Herausgeber und Übersetzer hat er sich einen Namen gemacht. Von den zahlreichen Preisen, mit denen Horst Samson ausgezeichnet wurde, seien hier nur einige erwähnt: der Lyrikpreis des Rumänischen Schriftstellerverbandes 1981, der Nordhessische Lyrikpreis 1992, der Preis des Rumänischen Schriftstellerverbandes Temeswar/Timișoara 2019, der Gerhard-Beier-Preis der Literaturgesellschaft Hessen 2014. Seine Gedichte wurden ins Englische, Französische, Rumänische, Russische, Serbokroatische und Ungarische übersetzt. 

„Das Gedicht ist die Heimat der Menschheit“, schrieb mir Horst Samson als Widmung in sein 2019 im Pop Verlag Ludwigsburg erschienenen Buch Heimat als Versuchung – Das nackte Leben. Ich habe Horst Samson über seine Gedichte kennengelernt, lange bevor wir uns persönlich trafen. 

Geboren wurde Horst Samson am 4. Juni 1954 im Weiler Salcâmi in der Bărăgan-Steppe, wohin seine Eltern 1951 aus dem Dorf Albrechtsflor/Teremia Mică im Banat deportiert wurden. 1956 kehrte die Familie in ihr Heimatdorf zurück. Samson besuchte das deutschsprachige Pädagogische Lyzeum in Hermannstadt/Sibiu, war kurz Lehrer in Busiasch/Buziaș, von 1977 bis 1984 Redakteur bei der Neuen Banater Zeitung, studierte in Bukarest/București im Fernunterricht Journalistik und von 1984 bis 1987 Redakteur bei der Zeitschrift Neue Literatur. Er war Mitglied im Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn, von 1981 bis 1984 dessen Sekretär. Die avantgardistische und kritische Literatur der jungen Autoren, zu denen auch die Mitglieder der bereits 1975 zerschlagenen Aktionsgruppe Banat gehörten, missfiel dem Geheimdienst Securitate. Im Mai 1984 fand bei Horst Samson eine Hausdurchsuchung statt, danach folgten Verhör und Einschüchterungen. Im September unterzeichneten sieben Mitglieder des Literaturkreises, deren Sprecher Samson war, einen Protestbrief wegen den Repressalien gegen die deutschen Schriftsteller. Unter den sieben Schriftstellern, welche den „Brief an die Macht“ unterzeichneten, befand sich auch die Literatur- Nobelpreisträgerin 2009, Herta Müller. 

Die Folgen des Protestes waren drastisch, der Literaturkreis Adam Müller-Guttenbrunn löste sich im Oktober 1984 auf, Samson wurde 1985 aus dem Rumänischen Schriftstellerverband ausgeschlossen und erhielt Publikationsverbot, 1986 Morddrohungen. Im März 1987 erfolgte die Ausreise mit der Familie in die Bundesrepublik Deutschland. 

Neben dem aufwendigen Journalistenberuf – Horst Samson war von 1990 bis zu seiner Pensionierung 2017 Chefredakteur der Zeitungsgruppe Bad Vibeler Anzeiger hat er weitere Funktionen übernommen. Von 2006 bis 2014 war er Generalsekretär des Internationalen EXIL-P.E.N., er ist Mitglied im Verein deutscher Schriftsteller (VS in ver.di) und Mitglied im Rumänischen Schriftstellerverband (erneut nach 1989). 

Horst Samson ist auch Singer-Songwriter und spielt mehrere Instrumente. 

„Ich habe nie eine Zeile gedichtet, die nichts mit meiner Existenz zu tun hat“, sagte Paul Celan.1 Das gilt auch für Samson, der sich sehr intensiv mit Celans Werk beschäftigt hat. 

Die Themen, mit denen sich der Autor auseinandersetzt, sind Unfreiheit, Exil, Suche nach Identität und Heimat, aber auch die philosophische Frage von Sein und Nichtsein. 

Auf sein Debüt mit dem Gedichtband Der blaue Wasserjunge (Facla Verlag, Temeswar 1978), folgte 1981 der kritische Band Tiefflug (Dacia Verlag, Klausenburg/Cluj-Napoca 1982), Reibfläche im Kriterion Verlag Bukarest und Lebraum 1985 wieder im Dacia Verlag. Das Gedicht Nocturne aus diesem Band war einer der Gründe, warum Samson Schreibverbot erhielt. 

hat die blumen ausgeblasen / und den horizont verbrannt / dann erstickte er den rasen / wickelte in nacht das land // stieß die sänger in die runde / logen uns romanzen vor / stunde fraß die andre stunde / grünspan legte sich ums tor // ging ein haus ging auch das andre / nur die bäume blieben steh`n / seit der trommler sprach: ich wand`re / sieht man auch die bäume geh`n (S. 35) 

Im Nosmas Verlag Neuberg erschienen die Lyrikbände Wer springt schon aus der Schiene (1991) und Was noch blieb von Edom (1994). In Letzterem, im Gedicht Wanderjahre stehen die Verse, die wie eine Sentenz klingen: „Aber keiner, denk ich, / Braucht Heimat, // Der genug davon hat“ (S. 17). 

2003 erschien in der Lyrikedition 2000 in München La Victoire. Poem. Peter Motzan nennt es im Vorwort „Protokoll einer Entheimatung und Zerstörung“. In starken Sprachbildern, die schmerzen und durch ihre Schönheit berauschen, wird in sechs Abschnitten und einem Prolog das Leben in der Diktatur geschildert und schließlich die letzte Station, der Bahnhof Curtici.

Auf! Geht jetzt, geht, sagen die Freunde, // Los, denn ihr lebt, sagen sie, / Dreht euch ja nicht mehr um, geht! „Wir / Gehen jetzt“, sagen wir / Wie ein altgriechischer Chor, und es ist / Als hätten wir es geübt / Das Gehen, die Kunst / Des Winkens im Morgengrauen. […] Irr wie in Romanen leuchten / Über dem Bahnsteig Sterne // Um ihr Leben. Ins Offene / Gelehnt sehen wir es glitzern, hören / Befehle, Hundegebell. Die Lok / Pfeift. Das Mädchen ist tot! La Victoire, flüstere ich // In den Fahrwind, la Victoire! Und schiebe / Das Zugfenster zu… (S. 77f.) 

Erwin Messmer schreibt in der Schweizer Literaturzeitschrift Orte, Samson wird mit seinem Gedichtband La Victoire. Poem „zweifellos in die Geschichte eingehen als einer, der zuhanden der Nachgeborenen ein bedeutendes Zeitdokument abgeliefert hat, dazu ein ganz großes Stück Weltliteratur […]“.2 

Alle weiteren Bücher sind im Pop Verlag Ludwigsburg erschienen, Traian Pop, Schriftsteller und Verleger, hat sich um das Publizieren von Exilliteratur verdient gemacht. 2010 wurde auf seine Initiative der Lyrikband Und wenn du willst, vergiss herausgebracht, ein Sammelband mit Gedichten aus 30 Jahren. 2013 erschien Kein Schweigen bleibt ungehört, in dem Unfreiheit und Trauma, Aufbruch und Heimatsuche thematisiert werden. In Nachricht I heißt es: „Gedichte / Sind ein Zuhause / Für alle / Die keins haben“ (S. 126). Ein Jahr später folgt der Gedichtband Das Imaginäre und unsere Anwesenheit darin, in dem Erinnerungen aus dem Herkunftsland die Imagination speisen, aber auch die Bitternis des Exils. 2019 erscheint Heimat als Versuchung – Das nackte Leben, ein literarisches Lesebuch, in dem Gedichte, Prosa, Literaturkritiken und Interviews einen tiefen Einblick in Samsons Schaffen gewähren, im gleichen Jahr Das Meer im Rausch, Gedichte in denen Verletzungen aufgearbeitet werden, aber auch Schönheit in Versen voller Musikalität. Die Gedichte in dem Band In der Sprache brennt noch Licht (2021) klingen hoffnungsvoller, der Dichter findet Heimat in der Sprache. „Lass uns miteinander reden, / Nur im Wort brennt noch Licht“, schreibt er im Gedicht Über Wunden (S. 11). 

Viele von Horst Samsons Gedichten enthalten Widmungen für Freunde und Familie. Jene für seine Frau Edda, seinen Sohn Elvis, für Eltern und Bruder gehören zu den schönsten, voller Gefühl und Dankbarkeit. Mit dem Gedicht Pünktlicher Lebenslauf, dem Vater gewidmet, der sein Kriegstrauma durch seine Träume trägt, ist Horst Samson etwas gelungen, das man die Magie der Poesie nennt. Dieses Gedicht, bereits im Band Reibfläche (S. 19) erschienen, oft wieder aufgenommen, fasziniert seit Jahren seine Leser: „Nachts setzt sich Vater / Den Stahlhelm auf, / Steckt sich ein Gebetbuch / In die Brusttasche / Und fährt mit einer schwarzen NSU / Durch ein Minenfeld bei Narwa / In Richtung Leningrad. // Morgen um fünf / Ist er wieder da.“ 

Gefragt nach seinen Lieblingsthemen in seinen Gedichten, zitiert Horst Samson gerne den Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki: „Die Literatur kennt nur zwei Themen: Die Liebe und den Tod. Der Rest ist Mumpitz“. Mit dem Tod hat sich Samson eingehend in dem 2022 erschienenen Band Der Tod ist noch am Leben befasst. Für die Zukunft bleibt, der Welt die Liebe in Gedichten zu schenken. Alles Gute, lieber Freund, noch viele glückliche Jahre und der Welt noch viele Gedichte, denn sie sind unsere Heimat! 

EVA FILIP, geboren in Arad, Rumänien, ist als freiberufliche Schriftstellerin tätig. Sie hat zahlreiche Erzählungen, Gedichte, Reportagen, Berichte und Rezensionen veröffentlicht und mehrere Preise für ihre Werke erhalten. 

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