Barbi Marković: Minihorror. Salzburg, Wien: Residenz Verlag 2023. 192 S.

Minnie und Mickey Mouse, denen Mini und Miki nachempfunden wurden, sind, wie wir alle wissen, Zeichentrickfiguren, die einem glücklichen Paar mit märchenhaften Zügen ähneln. Was aus Kindersicht wie ein Märchen, ein perfektes Szenario, ein Ideal, das man anstreben sollte, aussieht, untersucht Barbi Marković aus der Sicht der Erwachsenen. Die Last der alltäglichen Verpflichtungen, der sozialen Interaktionen, der emotionalen Beziehungen, des Arbeitsumfelds und der gesundheitlichen Probleme malt Mini und Miki wie ein Bild in einem verzerrten Spiegel. 

Beide Charaktere verändern und entwickeln sich von einer Geschichte zur nächsten, sodass die Handlung kontinuierlich weiterläuft, aber auch die Möglichkeit besteht, die Minigeschichten getrennt zu lesen. In den ersten paar Geschichten scheinen Mini und Miki den anderen Akteuren feindlich gegenüberzustehen. Im weiteren Verlauf der Fabel werden die Risse in ihrer Beziehung immer deutlicher. Mini wird als Schriftstellerin und Alter Ego der Autorin dargestellt (Mini-Minerva, Barbi-Barbara). Mini selbst ist eine egozentrische Besserwisserin, die sich nicht um die Privatsphäre der Menschen schert, solange sie eine gute Geschichte hat. Miki hingegen fühlt sich in sozialen Interaktionen nicht wohl und neigt zu Verschwörungstheorien, was in der Geschichte Miki wird Guru gipfelt. Die Erzählerin erklärt ihre Wandlung mit flotter Ironie, indem sie sagt: „In den Anfangsjahren hat Miki geraucht und viel Kaffee getrunken und drei Snickers am Tag gegessen wie ein normaler Mensch“ (S. 115), und fährt dann fort zu erläutern, wie dieser „normale“ Mensch zu einem Fruchtguru, der Spiritualität im Obstessen findet, wurde. 

Die Kurzgeschichten sind insgesamt von unterschiedlicher Qualität, machen aber dennoch Lust auf eine weitere Geschichte. Indem Barbi Marković das Buch mit der Geschichte Cousine Jennifer einleitet, macht sie ihre Absichten deutlich: Den Leser erwartet eine Symbiose aus scheinbar bedeutungslosen Ereignissen des Alltags mit einem Hauch von Absurdität, Ironie und Horror. Mehrere Geschichten stechen heraus, eine davon ist Mini wird lebendig begraben. Neben der sehr treffenden Beschreibung einer Busfahrt von Wien nach Belgrad, die ich aus eigener Erfahrung bestätigen kann, balanciert die Autorin zwischen (düsterem) Humor und Trauer, dem unterschwelligen Kummer, nirgendwo mehr hinzugehören. Dieses Gefühl schwappt in Ein starkes wir über, in dem Minis Erfahrung mit Mikis österreichischer Familie beschrieben wird. Die Autorin beschränkt die Geschichten jedoch nicht auf dieses Thema. In Small Axe geht es um eine Partyatmosphäre und den sich ständig wiederholenden, ermüdenden Unsinn von Smalltalk. In mehreren Geschichten beschreibt Marković zwischenmenschliche Beziehungen und weist dabei auf mangelndes Verständnis oder Desinteresse hin, sodass ein Platz für seichte, aber vertraute Interaktionsmuster bleibt. In Die Bestie kommentiert sie den kreativen Prozess eines Schriftstellers, indem sie ein Interview inszeniert, das einen Einblick in den Alltag gibt, und bezeichnet Mini schließlich als Monster, Menschenfresserin sozusagen, die nach persönlichen Geschichten sucht, von denen sie sich ernährt. Die Palette der behandelten Themen dreht sich um alltägliche Routinen, was sie nachvollziehbar macht, zumal sie in scharfen Humor gekleidet ist. 

Eine der Konstanten in Barbi Markovićs Erzählung ist die Sprache. Der Roman wurde ursprünglich auf Deutsch geschrieben, aber anstatt ihn zu polieren, nimmt sie die für Nicht-Muttersprachler typischen Unzulänglichkeiten der Sprachkenntnisse in Kauf und greift auf das Code-Switching zurück. Sehr treffsicher eingefangene alltägliche Fehler wie wörtliche Übersetzungen aus der Muttersprache, die im Roman Die verschissene Zeit häufig vorkommen (vor allem bei Schimpfwörtern), deuten auf eine Mischung aus sprachlichen, aber auch kulturellen Codes hin. In Minihorror ist eine wiederkehrende Methode, einfach in B/K/S zu schreiben. Die Autorin gibt dann entweder kurze Kommentare ab oder erläutert die Bemerkungen in einer Art Dialog. Der Zweck dieser Methode ist scheinbar vielfältig. Zum einen wird das Thema Migrationshintergrund auf eine andere Art und Weise aufgegriffen und die Möglichkeit einer vollständigen Assimilation an eine andere Kultur in Frage gestellt. Noch einen Schritt weiter gehend, stellt sie einen Versuch dar, Code-Switching und multikulturelle Kontakte in der heutigen Gesellschaft zu normalisieren. Andererseits unterstreicht es die ständige Nichtkonformität mit gesellschaftlichen Normen. Schließlich wurden fremdsprachige Passagen oft verwendet, um den vermeintlichen Adel der Figuren darzustellen (Französisch in der russischen Literatur, Deutsch in der kroatischen etc.), aber Barbi Marković führt genau das Gegenteil ein und unterhält sich so mit ihren literarischen Vorgängern. 

Es erweist sich als etwas schwierig, ein Buch zu kommentieren, das zu vertraut klingt. Es ist eine Herausforderung, nicht in die Falle zu tappen, über die Schwierigkeit zu lästern, die eigene oder eine andere Kultur zu verstehen/erklären, oder über den typischen Eindruck zu sprechen, den ich von anderen (ex- oder post-)jugoslawischen Migranten und den sich wiederholenden Gesprächen, die wir führen, bekomme. Barbi Marković hat die Essenz dieser Erfahrung mühelos eingefangen, aber nicht vergessen, die einfachen Vorstellungen des Alltags zu hinterfragen, was mich insgesamt bitter lachen ließ, etwas paradoxerweise, ähnlich wie der Titel des Buches ‒ Minihorror. 

Von Danica Trifunjagić

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