Von Hoffnung, Trost und Weltwahrheiten | Matthias Buth: Im Zwischenland | Besprechung
von IKGS München
Der neueste Gedichtband des Juristen, Schriftstellers und Essayisten Matthias Buth ist vor einem Jahr im PalmArtPress-Verlag in Berlin mit einem Vorwort von Markus Bauer erschienen und enthält 780 Gedichte/Texte, die mal verschlüsselt, mal offen die menschliche Existenz reflektieren. Die Magie der Worte fasziniert und befremdet in gleichem Maße.
2. Juli 2024Matthias Buth: Im Zwischenland. Rhapsodien. Mit einem Vorwort von Markus Bauer. Berlin: Palm Art Press 2022. 217 S.
Titel und Untertitel des Bandes werfen auch gleich die Fragen auf, was wohl ein Zwischenland sein mag und warum ein geschriebener Text als Rhapsodie verstanden werden könnte. Ist vielleicht die literarische Biografie des Autors ein Hinweis auf das Dasein zwischen zwei Welten und auf eine vortragende, musikalische Darbietung?
Schon seit 1974 schreibt der Rechtsanwalt Poesie und geht Berufen nach, die ihm den Zugang zu Kultur, Literatur und zu den Künsten verschaffen. Er arbeitete als Kulturreferent, Ministerialrat für Kultur und als Beauftragter der Bundesregierung für Kultur und Medien, aber auch als Justitiar und Anwalt. Seine Gedichte und Prosa wurden in mehrere Sprachen übersetzt und in Kammermusik und Chorwerke vertont. Sie befinden sich somit selbst in einem Zwischenland, sind vielleicht das Zwischenland selbst. Seit 2016 schreibt er außerdem politische Feuilletons. Literatur, Politik und Rechtswissenschaft schließen sich aber keineswegs aus, sie treten in seinen neuen Gedichten abwechselnd zum Vorschein.
So lässt das Gedicht 533 viele Interpretationen zu. „Rumänien liegt am Meer. Deshalb sind alle LKW Schiffe, die nach Häfen suchen. Nur wenige wissen, dass sie mitfahren“ (S. 132); es enthält neben einer metaphorischen Verbildlichung der Sehnsucht nach Geborgenheit eine Anspielung auf die sozialpolitische Sachlage der Vogel-Strauß-Politik in Rumänien. Auch das Gedicht 530 enthält eine prägnante politische Kritik, die den Leser auf poetischste Weise anspricht: „Brexit ist das Flügelwort. / Die Flucht über die inneren Zäune. Sie endet auf der Insel Ich“. (S. 132)
Die Lektüre der rhapsodischen Texte ist – so Markus Bauer im Vorwort – dem Leser selbst überlassen. Die einzelnen Gedichte können chronologisch oder auch unabhängig voneinander gelesen werden. Dadurch entsteht eine besondere Beziehung zwischen dem Dichter und seinen Lesern. Die Konstante ist in jedem Gedicht, in jedem Text das leitmotivische Zwischenland. Das wird auch durch das Motto des Bandes illustriert: „Wer zuweilen im Zwischenland leben darf, / verlässt es niemals ganz. / Es ist, als lebte er glücklich gespalten in zwei Welten“. Es stammt von Erwin Chargaff, einem Chemiker und Schriftsteller, der als Wissenschaftler wichtige Erkenntnisse zur Entschlüsselung der DNA-Struktur erzielte, was ihn aber nicht davon abhielt, in seinen späteren Essays eine höchst kritische Haltung gegenüber den Wissenschaften einzunehmen. Interessant ist dabei die von ihm erstellte Regel, die besagt, dass die Basen in der DNA-Zusammensetzung immer paarweise auftreten. Es gibt also in jeder Kreatur eine dichotomische Zusammensetzung, ein Hier und Drüben, ein Jetzt und ein Damals oder ein Danach, ein Gut und ein Böse, eine Metapher und einen Klartext.
Versteht man die Buth’schen Texte als Ausschnitte aus dem Alltag, entfaltet sich ein buntes, allumfassendes Mosaik des Menschendaseins. Es ist, als ob der Leser die Welt bereist und mit seinem Blick bruchstückhaft Bilder erhascht, wie Filmsequenzen vorüberziehend. Ein Bestattungsinstitut mit rot beschriftetem Schild (Gedicht 9), bröckelnde Benzinpreise (Gedicht 10), das Geschirr in der Spülmaschine (Gedicht 11), Verpackungen mit Haltbarkeitsdatum im Supermarkt (Gedicht 404), alles Bilder in unserem Gedächtnis, die ab und zu aus dem Unterbewusstsein hervorkommen und dem Dasein neuen Inhalt verleihen.
Die Texte sprechen auch über Länder und Leute, darunter auch Rumänien, ein Land, das dem Autor gut bekannt ist. Schon 1998 wurde Liniștea de după lovitura de secure [erweiterte Fassung von Die Stille nach dem Axthieb] veröffentlicht. 2009 erschien im Verlag des Rumänischen Kulturinstituts der zweisprachige Band România dincolo de pleoape [Rumänien hinter den Lidern]. Die renommierte rumänische Schriftstellerin Ana Blandiana beschrieb die Texte als ergreifenden Brückenschlag zwischen zwei Welten, die unermüdlich voneinander träumten. Matthias Buth brachte seine Zuneigung für dieses Land auch in einem Beitrag im Observator Cultural vom 3. März 2005 zum Ausdruck: Er habe in Rumänien ein Land mit besonderer kultureller Resonanz entdeckt, mit einem harmonischen Zwischenspiel des elegischen Geistes und des Prachtvollen. 2020 veröffentlichte Buth Der Schnee stellt seine Leiter an die Ringmauer / Poetische Annäherungen an Rumänien und andere Welten.
Die Gedicht-Texte in seinem letzten Gedichtband erzählen aber auch vom Lauf des Lebens, von der Geburt und vom Tod, von der Liebe und der Enttäuschung. „Nichts tötet so endgültig wie ein Kuss, der ausbleibt. / Der Morgen zerreißt“ (S. 13), heißt es im ersten Gedicht. Und das dreihundertzweiundneunzigste antwortet „Küsse: Kulisse für Abschied und Verweilen“ (S. 96), das fünfhundertachtundzwanzigste sagt einfach „Schnellkuss“. (S. 132)
Die Gedicht-Texte wechseln sich mit Prosatexten ab, die denselben Themen gewidmet sind. Im Prosastück 443 steht wieder das Land Rumänien im Mittelpunkt, das eigentlich „România“ heißen müsse. Der Text steht selbstverständlich wieder als Brücke zwischen zwei Welten: „România ist ein Ovid-Land, durch das die Gedichte von Georg Trakl gegangen sind. […] Sie durchfließen auch Deutschland und münden im Schwarzen Meer, nicht weit von Tomis, das heute Constanța heißt. […] România ist ein Wort aus dem inneren Klang von Europa, es sucht die Klänge der anderen, um zu singen, zu trauern, zu beglücken“. (S. 109)
Ernüchternd kritisch setzt sich Matthias Buth auch mit europäischer Politik auseinander. Ein Beispiel hierfür bietet das Prosastück 749, in dem es heißt: „Natürlich ist Vielfalt überall, in den Staaten und Nationen, bei jedem Menschen. Also eine Binse. Aber Vielfalt ist politisch inzwischen eine sakrale Größe geworden, mit ihr lässt sich alles beweisen, unterlaufen und ins Absurde verbannen. […] Mich ziehen einfältige Menschen an, nicht jene, die alle Erscheinungen der Welt in Millimetergröße klein-differenzieren und uns so zum Verschwinden bringen […]“. (S. 205)
Lange wirken die Gedichte von Matthias Buth nach, Wort für Wort hallen sie in uns nach und warten darauf, dass man selbst Antwort gibt. Sie berühren das Gemüt, die Seele und den Verstand in gleichem Maße, man möchte sie lesen, man möchte sie manchmal auch vorgelesen bekommen, manchmal sogar malen. Sie sind eine synästhetische Gabe eines raffinierten Poeten, für den der Leser nur begeistert schwärmen kann.
Von Maria Muscan