Neuauflage des Erstlingswerks | Hans Bergel: Fürst und Lautenschläger | Besprechung
von IKGS München
Zwei Jahre nach dem Tod des 1925 in Siebenbürgen geborenen Schriftstellers und Publizisten Hans Bergel, der mehr als 50 Jahre in Deutschland lebte und mehr als 50 Bücher schrieb, liegt nun seine – viel zitierte und wenig gelesene – Jugenderzählung „Fürst und Lautenschläger“ mit einem ausführlich kommentierenden Vorwort von Stefan Sienerth, dem langjährigen Leiter des IKGS in München, vor.
27. Februar 2025Hans Bergel: Fürst und Lautenschläger. Eine Erzählung aus dem Siebenbürgen des 17. Jahrhunderts. Mit einem Vorwort von Stefan Sienerth. Berlin: Edition Noack & Block 2024. 134 S.
Das Erstlingswerk des ungemein produktiven Autors von Romanen, Erzählungen, Gedichten, Sachbüchern und Biografien erschien 1957 im Jugendverlag Bukarest. 1956 bei einem literarischen Wettbewerb innerhalb der sich nach dem Zweiten Weltkrieg langsam wieder entfaltenden deutschen Kulturszene im mittlerweile sozialistischen Rumänien preisgekrönt, spielte die Erzählung nur drei Jahre später eine verhängnisvolle Rolle für Hans Bergels biografischen und dichterischen Weg. Sie wurde Anlass zu Bergels Verhaftung und Verurteilung im Kronstädter Schriftstellerprozess am 15. September 1959 zu 15 Jahren Kerker und Zwangsarbeit, von denen er bis zu seiner Rehabilitation 1964 fünf Jahre verbüßte. Mit Bergel zusammen wurden die Autoren Andreas Birkner, Wolf von Aichelburg, Georg Scherg und Harald Siegmund zu insgesamt 95 Jahren Lagerhaft verurteilt. Den politischen Hintergrund bildete die rigide stalinistische Innen- und Kulturpolitik unter dem Staats- und Parteichef Gheorghe Gheorghiu-Dej in Frontstellung gegen potenzielle antisozialistische Bedrohung Rumäniens nach dem ungarischen Aufstand 1956.
Bergel bedient sich in seiner Novelle dramatischer historischer Abläufe und pittoresk-bühnenhafter Sprachbilder und Kulissen, um kriegerische Ereignisse des 17. Jahrhunderts zu veranschaulichen: „in einem jener Jahre, in denen das Riesenreich der Habsburger unter den unherrschlichen Händen Rudolfs II. wie ein blinder Koloss einer Katastrophe entgegenzutaumeln begann […]“. (S. 47)
Am Tag nach der Wahl des 18-jährigen Gabriel, letzter Spross des altberühmten und gefürchteten Adelshauses Bathory, zum Fürsten in Klausenburg „fuhren Befehle wie Peitschenhiebe in das Fürstentum hinaus“. (S. 50) Ein Sänger tritt auf. „[…] wo immer der Fremde seine Lieder wider die Tyrannei der Fürsten wie Rufe hinwarf, wo er, die Fäuste in den Saiten und mit einem Lachen in dem Narbengesicht, seine Spottlieder auf den Bathory sang, sah man geballte Fäuste und blitzende Augen.“ (S. 65) Der Sänger weigert sich, für den Fürsten zu singen: „Die Kunst, Euer Weisheit, ist in Zeiten der Not mehr als in solchen des Glücks, ein Feuer, an dem sich die Herzen entzünden […]. Ich bin keine Hure und meine Kunst erst recht nicht!“. (S. 128)
Der aus der Bukowina stammende Dichter Manfred Winkler berichtete Hans Bergel im Jahr 2011 bei dessen Besuch nahe Jerusalem, er habe im Jahr 1958, kurz vor seiner Emigration aus Rumänien nach Israel, Bergels Buch Fürst und Lautenschläger gelesen. In einem Gespräch erinnert er sich: „Ich dachte: Wer sowas schreibt, der ist verrückt. Oder tollkühn. Der greift das Ungeheuer frontal an. Der lacht den Diktatoren bei Tageslicht ins Gesicht. Wenn die das spitzkriegen, o weh! So kam es ja dann auch. Ich dachte: Diese Erzählung Fürst und Lautenschläger ist ein Sprung mitten ins Feuer hinein. Ein Freiheitstanz vor aufgepflanzten Bajonetten. Sag mir, kennst du keine Angst?“. Bergel antwortet dem Freund: „Kein anderes [Buch] hat mein Leben so bestimmt wie diese ungehobelte Prosa.“
Zwanzig Jahre nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes in Rumänien verweist Bergel in einem Vortrag über „Literatur und Widerstand“ unmittelbar auf den autobiografischen Bezug seiner Erzählung. Sie machte ihm als 20-Jährigem „bewusst“, dass sein Leben „das eines Schriftstellers sein würde. Ich bin als Schriftsteller […] sicherlich zunächst das Produkt einer genuin vorgegebenen Veranlagung, ich bin es aber ebenso als Ergebnis der Rebellion gegen jederlei Diktatur. Niemals kam es mir bei alldem auf Öffentlichkeit an, es war immer die Entscheidung für meine Haltung in ausschließlich persönlicher, ja sogar privater Wertung“.
Bergel beteiligte sich gegen Ende des Zweiten Weltkriegs nach dem Vordringen der Sowjetarmee auf rumänischen Boden als Kurier bei rumänischen Partisanen. Nach Kriegsende 1945, so berichtet Bergel, „hofften die Männer des Widerstands nicht mehr auf die deutschen Raketenwaffen, sondern auf die Intervention der Amerikaner“. Sie wurden „Schachfiguren im Spiel vor allem der US-Amerikaner“.
„Aus der in mir […] angestauten Wut auf die Fremden, die das Land beherrschten, auf die Verhältnisse, in denen wir als Widerständler wie die Tiere lebten, auf die uniformierten Siguranţa-Agenten, die uns jagten und unsere Familien zerstört hatten, […] aus dieser Wut heraus“ begann Bergel am Tag nach dem Tod eines Luftwaffenoffiziers, der ihn entscheidend geprägt hatte, mit der Niederschrift seiner ersten Erzählung. Den Anstoß gaben für ihn zwei Sätze des „in seinen Armen verstorbenen Hauptmanns: In Knechtschaft zu geraten und zum Sklaven gemacht zu werden ist nichts weiter als ein Unglück des Moments, das Unglück eines Menschen oder einer Gesellschaft beginnt erst dort finale Ausmaße anzunehmen, wo der Wille aufhört, sich daraus zu befreien“.
Der zweite Satz des Hauptmanns Cepa blieb Hans Bergel lebenslang unvergessen: „So gesehen kann man auch im Zustand der Unterjochung frei sein. Das Gefühl, das mich nach Abschluss der Arbeit an der Erzählung Fürst und Lautenschläger Ende Februar 1946 beherrschte, war die Gewissheit, mich von der Angst vor der Diktatur ein für allemal befreit zu haben“.
Hans Bergel hat sich in reiferen Jahren des Schreibens von der ungestümen sprachlich-stilistischen Form seines Jugendwerkes distanziert. Die Novelle lässt aber bereits ein Grundmuster von Bergels suggestiv-emotionalem Erzähltalent und seinem an klassischen Vorbildern geschulten Formwillen erkennen, die seine späteren Erzählungen und großen Romane auszeichnen. Bis zuletzt bleibt er seiner dichterischen Maxime treu, dem schrankenlosen Bekenntnis zur menschlichen Freiheit, „zur Freiheit des Individuums“ – die dichterische Botschaft, die der Lautenschläger der frühen Novelle dem verbrecherischen Fürsten gegenüberstellt. Hans Bergel sollte dieses Bekenntnis Jahre seines Lebens kosten, seine dritte fatale Verurteilung. Kein zweiter Autor hat den Mut besessen, das stalinistische Regime Rumäniens der 1950-er, 1960-er und 1970-er Jahre in leicht zu entschlüsselnder Form als despotische Herrschaft zu entlarven.
Renate Windisch-Middendorf